Im Ländle gibt’s Wildnis gleich um die Ecke

Die Samina Stiftung möchte im Samina- und Galinatal ein Wildnisgebiet der IUCN-Kategorie 1b schaffen. Eine Exkursion des Forum Wildnis Schweiz hat am 22. August 2025 einen Augenschein vor Ort genommen. Die 14 Teilnehmenden waren begeistert von der Wildnishaftigkeit im Übergang von Liechtenstein zu Vorarlberg.

Der Einstieg ins Saminatal ist unerwartet: Der Bus von Vaduz nach Malbun spuckt uns nach dem Tunnel Gnalp-Steg in Steg aus. Während wir der Forststrasse folgen, deutet noch nichts darauf hin, dass uns bald ein wildes Tal voller natürlicher Dynamik erwartet. Der maximale Kontrast zum stark besiedelten Rheintal macht einen der Reize des Saminatals aus.

Nur die bewaldeten Hänge deuten darauf hin, dass die Exkursionsgruppe bald ins wilde Saminatal voller Naturdynamik eintauchen wird. Foto: Sebastian Moos

Insgesamt 14 Personen erkunden an der vom Forum Wildnis Schweiz zusammen mit der Samina Stiftung organisierten Exkursion das Saminatal. Viele beschäftigen sich beruflich mit Natur und Naturschutz und interessieren sich für Wildnis und freie Naturdynamik. Im Vordergrund steht, das Saminatal kennenzulernen und die Prozesse rund um das Errichten eines Wildnisgebiets der Kategorie 1b zu verstehen. Die Samina Stiftung, deren Stiftungsrat unter anderem Prinz Nikolaus von und zu Liechtenstein ist, der Bruder des Fürsten, strebt den grenzüberschreitenden Erhalt des Samina- und Galinatales als grösserflächiges Schutzgebiet durch Errichtung eines Wildnisgebiets an. Der Untersuchungsperimeter für die erstellte Naturmonographie beträgt 2’670 Hektar.

Der Diskussionsbedarf ist gross. Hier erklärt Projektleiter Stefan Forster (ZHAW) das Projekt eines Wildnisgebiets im Saminatal. Foto: Jan Gürke

Bereits steht mehr als die Hälfte des geplanten Wildnisgebiets unter Schutz, unter anderem durch ein 920 Hektar grosses Waldreservat aufseiten Liechtensein. Die letzten Holzschläge fanden vor einhundert Jahren (1925/26) statt. Entsprechend hat sich viel Totholz angereichert. Aktuell laufen intensive Diskussionen mit den Behörden. Die ZHAW bearbeitet im Auftrag der Samina Stiftung das Projekt. Dies umfasst auch Umweltbildung und Besuchendenlenkung. Im nahen Berggasthaus „Sücka“ oberhalb der Siedlung Steg und den dortigen Alpstallungen soll ein Besuchendenzentrum eingerichtet werden.

Durch die starken Niederschläge am Vorabend war das Wildnis-Erleben noch stärker als erwartet. Viele Runsen an den steilen Seitenwänden waren voller Kies, der Wanderweg über kurze Strecken kaum mehr sichtbar. Foto: Sebastian Moos

Starke Dynamik fasziniert

Die Wanderung von Steg (Liechtenstein) durch das Saminatal nach Amerlügen (Vorarlberg) ist anspruchsvoller als erwartet. An manchen Stellen ist der Weg schmal und ab und an ausgesetzt. Die Starkniederschläge in der Nacht vor der Exkursion haben die Bäche in den Runsen aus den steilen Seitenwänden anwachsen lassen. Ein paar Mal müssen wir uns den Weg durch die Kiesfächer suchen. Die nicht immer perfekten Wege verstärken das Wildniserleben. Die Dynamik im Gebiet fasziniert: Neben den Wildbächen sehen wir allenthalben „tote“ Bäume, oft dicht bewachsen mit Pilzen.

Die Teller der Pilze prägen das Bild der Wälder im Saminatal. Sie profitieren vom hohen Anteil an Totholz. Auf dem Bild zu sehen ist eine Tramete. Foto: Jan Gürke

Während der Wanderung auf dem markierten Pfad sehen wir im Kerngebiet keine menschliche Spuren wie Strassen, Bauten oder Leitungen. Nur das geschulte Auge sieht die Überreste des Fundaments der Transportseilbahn, welche vor über 100 Jahren für den Holzkahlschlag genutzt worden ist. Die Artenvielfalt ist richtiggehend spürbar, die Wälder sind abwechslungsreich, geprägt vom Buchen-Tannen-Fichtenwald, in den Steilhängen ergänzen ihn aufrechte Bergföhren. Die Samina fliesst dank dem vielen Platz verspielt im Bachbett.

Im Gebiet leben sechs Spechtarten (Willi 2022). Besonders erwähnenswert ist der Weissrückenspecht, ein Indikator für viel Totholz und eine entsprechend hohe Wildnisqualität. Er wurde im Saminatal zum ersten Mal in Liechtenstein nachgewiesen und hat von hier aus wahrscheinlich die Ostschweiz besiedelt. Luchse streifen ebenso durch das Saminatal wie drei Schlangenarten, wovon die Schlingnatter besonders bemerkenswert ist.

Die Exkursionsteilnehmenden brachten viel Artenkenntnis zuzsammen. Hier zeigt uns der Herpetologe Jürgen Kühnis ein subadultes Schlingnatter-Männchen. Die Schlange ist ungiftig. Foto: Jan Gürke

Einzig der Wolf fehlt bisher. Obwohl das Saminatal ein Wanderkorridor für den Beutegreifer ist, konnte bisher kein Rudel nachgewiesen werden. Der Wolf würde das Gebiet bereichern und sich positiv auf die Rotwild-Population auswirken. Während der Wanderung sehen wir starken Verbiss, die Naturverjüngung ist eingeschränkt.

Dem Anliegen Natur Natur sein lassen Rechnung tragen

„Es läuft doch schon alles gut im Saminatal, lasst es einfach in Ruhe“, würden nun manche sagen. Das Gebiet mit der Kategorie 1b (Wildnisgebiet) nach IUCN-Kriterien auszuzeichnen, würde jedoch bedeuten, dem Anliegen „Natur Natur sein lassen“ noch bewusster Rechnung zu tragen. Auf liechtensteinischer Seite ist dies im Waldareal durch die schon bestehenden Waldreservate gegeben, auf Vorarlberger Seite hingegen noch nicht in allen Teilen. Zudem muss noch mit der Jagd und der Fischerei geklärt werden, wie vor allem ein gezieltes Rotwildmanagement aussehen soll. Die drei im Gebiet vorhandenen Alpen werden extensiv genutzt. Das Projetteam prüft die Idee, sie als „wilde Weiden“ mit Robustrindern zu bewirtschaften.

Die Dynamik im Gebiet lässt keinen Wildnis-Fan kalt. Wie wird es mit dem Gebiet weitergehen? Wird es dereinst ein Anziehungspunkt für den Tourismus? Foto: Sebastian Moos

Wir diskutieren in der Gruppe, ob eine Ausscheidung als Wildnisgebiet zu einem starken Andrang von Besuchenden führen könnte. Die Gefahr ist klein: Die fünfstündige Wanderung durch das Tal bildet ausser dem Fürstensteig im Massiv der Drei Schwestern den einzigen Zugang im Gebiet. Die steilen Hänge bilden den besten Schutz betreffend Begehbarkeit. Es sind keine neuen Infrastrukturen vorgesehen. Massnahmen für eine allfällige Besuchendenlenkung werden noch diskutiert. Das Biken soll in jedem Fall untersagt bleiben. Wir sind gespannt um das Werden des Wildnisgebiets Samina-Galinatal.

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Sebastian Moos

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